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Die Jammerballade
Die Jammerballade
Text: François Villon
Sprecher: Andreas Niederau-Kaiser
Klangbild: Albert Berendt
ausführende Produktion: memplex-art
© 2022 Anstalt für experimentelle Querverbindungen
Die Jammerballade von einer alten Klempnersfrau.
Nun spitzt mal eure Ohren und hört zu,
was eine alte Frau euch zu erzählen hat,
bevor sie wie ein abgewelktes Blatt dort unten fault,
wo jeder seine Ruh und seinen Frieden finden wird,
wenn er nicht mehr die Beine heben kann.
Es sind schon mehr als hundert Jahre her,
daß ich geschlafen hab bei einem Mann.
Die kleine weiße Hexe da,
das junge Ding, ist schuld, daß ich so runzlig bin.
Denn ehe ich dies Lustgeschenk empfing,
da war mein Haar noch nicht so grau,
mein Kinn noch nicht so spitz.
Auf meine weiße Haut fiel jeder Mann herein.
Ich war nicht faul mit meiner Gunst.
Ich ritt auf manchem Gaul, der lief zum erstenmal mit einer Braut.
Und habe manchem auch mein Hinterteil gezeigt, den ich nicht leiden konnte, weil er mir nicht reich genug erschien und stark.
Und bin doch reingefallen auf ein Aas, das außer seinem Bart nur einen Quark besaß,
und mir vom Brot die Butter fraß.
Ich werde heute noch ganz rot vor Scham,
daß er mich nur der Gelder wegen nahm.
Wie hat er mich herumgeboxt und schikaniert
und jede Tollheit mit mir ausprobiert.
Gerochen hat er wie im Pferdestall ein Haufen Mist.
Und wenn ich ihm den Mund,
vor Ekel und in meiner Wut,
ganz wund gebissen habe,
warf der grobe Hund
mich an die Wand wie einen Gummiball.
Jetzt hab ich selber kaum ein Brot,
mich satt zu essen,
das werd ich ihm mein Lebtag nicht vergessen,
Er ist schon über dreißig Jahre tot und ließ mich hier zurück in meiner Not,
mit meiner welken Haut im grauen Haar.
Wenn ich im Spiegel manchmal mein Gesicht betrachte,
denk ich oft: das bist du nicht!
Und doch ist dies Gesicht so sonnenklar
mein Ebenbild...
Ich könnte mich zerreißen
und den verfluchten Spiegel kurz und klein zerschmeißen.
Von meiner Schönheit ist nicht eine Spur mehr da,
von meinen Brauen,
wie der Sichelmond
so schön gev/ölbt,
und von der Perlenschnur
der Zähne,
von den Augen,
glutbewohnt,
von meinen Lippen, feucht und feuerrot
wie die Korallen, die das Meer bespült,
von meinem Haar, das sich noch weicher fühlt
wie Seidenzeug aus dem Chinesenland.
Von meiner Schultern hellem Elfenbein,
von meinem Hals,
wie Schwanenflaum so weiß,
und dann die kleinen Brüste,
mein verliebtes Apfelpaar,
so glühendheiß, daß jeder Feuer fing,
wenn er sie sah.
Dazu die schlanken Hüften und der Bauch
mit seiner kleinen Muschel da im schwarzen Rosenstrauch
... dahingewelkt wie ein Kartoffelfeld,
verrunzelt Stirn und Doppelkinn,
von Blatternarben bös entstellt
bis zu den abgegriffnen Brüsten hin.
Die hängen auf dem Lumpensack, auf meinem grauen Bauch herum.
Ach Gott, wie hat das Männerpack mich stumpf gemacht und wurzelkrumm.
Da kraucht man wie ein Wurm daher, als wär der Buckel hundert Zentner schwer.
Und hockt am Ofen, starrt ins Feuerloch und denkt an all da
Category | Arts & Literature |
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