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AfD als „Prüffall“ des Verfassungsschutzes – ein juristischer Kommentar
Sensation diese Woche: Die AfD wird zum "Prüffall" des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) erklärt. Wie gefährlich ist die AfD - und wie gefährlich ist das Vorgehen für die AfD? Dietrich Murswiek, emeritierter Professor für Öffentliches Recht an der Universität Freiburg, zur Pressekonferenz des BfV.
Der Verfassungsschutz darf nach den Verfassungsschutzgesetzen des Bundes und der Länder eine politische Partei beobachten, wenn er hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür hat, dass die Partei verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt; das heißt, dass sie die freiheitliche demokratische Grundordnung oder eines ihrer Elemente (Demokratie, Rechtsstaat, Menschenwürdegarantie) beseitigen will.
Politiker der etablierten Parteien fordern seit langem die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz. Nun sind das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesbehörden für Verfassungsschutz nach einer monatelangen Auswertung von über 1.000 Seiten Material zu dem Ergebnis gekommen, dass nach derzeitigem Erkenntnisstand die gesetzlichen Voraussetzungen für die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz nicht erfüllt sind. Kommuniziert wird aber nicht: „Die AfD darf nicht durch den Verfassungsschutz beobachtet werden“, sondern kommuniziert wird: „Der Verfassungsschutz erklärt die AfD zum Prüffall“. Das ist nicht falsch, aber es verschiebt die Akzente in der öffentlichen Wahrnehmung fundamental. Die erste Aussage entlastet die AfD, die zweite prangert sie als „Fall für den Verfassungsschutz“ an.
Das ist juristisch höchst problematisch...
Wenn nämlich, wie jetzt im Fall der AfD, die Einstufung als Prüffall öffentlich verkündet wird, dann bleibt sie keine Entscheidung im Innenleben des Geheimdienstes, sondern dann entfaltet sie öffentliche Wirkung, nämlich Stigmatisierungswirkung: Die Partei wird vom Verfassungsschutz geprüft. Das ist es, was in der Öffentlichkeit ankommt. Dass sie nur zum dem Zweck geprüft wird, festzustellen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Beobachtung gegeben sind, wird kaum wahrgenommen. Bereits die Verkündung des Prüffalls hängt der Partei das Odium des Extremis-musverdachts an, obwohl es ja nur der Verdacht ist, dass ein die Beobachtung rechtfertigender Verdacht gegeben sein könnte. Das ist ein schwerwiegender Eingriff in die Rechte der Partei. Ob dieser Eingriff sich rechtfertigen lässt, hängt von verschiedenen Umständen ab. Die Rechtfertigung könnte schon daran scheitern, dass eine gesetzliche Grundlage für diesen Eingriff fehlt. Im übrigen gehört es zu den Grundlagen der Demokratie, dass die politische Willensbildung vom Volke ausgeht und grundsätzlich ohne hoheitliche Einwirkung stattfindet. Deshalb darf der Verfassungsschutz sich mit Bewertungen politischer Parteien in den öffentlichen Meinungskampf erst dann einmischen, wenn deren Verfassungsfeindlichkeit feststeht, keinesfalls aber bereits im Prüffall. Andernfalls könnte die Ausrufung des Prüffalls zu leicht missbraucht werden, um einer Partei – insbesondere in Wahlkämpfen – zu schaden. Denn die Voraussetzungen für die Vorprüfung sind gering, und ihre Handhabung ist leicht manipulierbar.
Soweit ich sehe, ist bisher die Einstufung als Prüffall immer eine interne, nicht öffentlich kommunizierte Angelegenheit der Verfassungsschutzbehörden geblieben. Mir ist kein anderer Fall bekannt, in dem der Verfassungsschutz die Einstufung als Prüffall öffentlich bekanntgegeben hat. Das Bundesamt für Verfassungsschutz – und zuvor bereits die thüringische Verfassungsschutzbehörde – werden erklären müssen, warum sie im Fall der AfD von dieser Praxis abgewichen sind und die Einstufung als Prüffall zur öffentlichen Sensation gemacht haben.
Category | News & Politics |
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