Esten feiern ihr Vaterland

Am vergangenen Wochenende besuchte ich in Tallinn das 27. Tanz- und Liederfest, welches alle fünf Jahre stattfindet. Tausende Teilnehmer sowie zehntausende Besucher aus aller Welt tummelten sich in der estnischen Hauptstadt. Chöre und Tanzgruppen in landestypischen Trachten gestalteten eindrucksvolle Veranstaltungen, deren Höhepunkt die Abschlussfeier auf dem Festivalgelände „Lauluväljak“ (dt. Liederplatz) bildete. Das dreitägige Ereignis stand unter dem Motto „Mein Vaterland ist meine Liebe“, eine in Deutschland undenkbare Losung.

Folgerichtig ist der entspannte und liebenswerte Patriotismus der Esten sowie deren Verbundenheit mit der eigenen Identität für Besucher aus der Bundesrepublik ein ungewohntes Erlebnis. Die Verankerung der sich aus tief empfundener Heimatliebe speisenden Brauchtumspflege in allen Teilen des estnischen Volkes und über sämtliche Generationen hinweg gibt diesem Kraft und Stärke, um die Herausforderungen unserer Zeit erfolgreich zu meistern. Gleiches gilt auch für Letten und Litauer, die regelmäßig vergleichbare Feste abhalten.

In Estland fand die erste Veranstaltung dieser Art im Sommer 1869 in Tartu statt. Die Initiatoren wollten damit das Nationalbewusstsein der Esten in Zeiten der Fremdherrschaft stärken. Widerstand seitens der russischen Obrigkeit konnte man umgehen, indem das Liederfest offiziell dem 50. Jahrestag der Abschaffung der Leibeigenschaft durch Zar Alexander I. gewidmet wurde. Seitdem hat diese wunderbare Tradition das estnische Volk durch eine wechselvolle Geschichte begleitet.